Der Aufsichtsrat: Ein nicht-öffentliches und verschwiegenes Gremium

Von | 19. Juni 2015

Die Verschwiegenheit im Aufsichtsrat eines kommunalen Unternehmens gehört zu den heikelsten Pflichten eines Kommunalpolitikers, der von Gesetzes wegen das Interesse der jeweiligen GmbH vertreten muss. Auch dann, wenn er mit Entscheidungen nicht einverstanden ist.

Eine Vielzahl von Aufgaben innerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge wird heute nicht mehr in der Verwaltung selbst erledigt. Die Energieversorgung, die Entsorgung des Mülls, der öffentliche Personennahverkehr – lediglich einige wenige Bereiche, die längst in privaten Unternehmen erledigt werden, die vollständig der Kommune oder dem Landkreis gehören. Die Verwaltung übt damit auch die Aufsicht über die Unternehmen aus – jedoch nicht alleine. Gemeinde- und Kreisräte agieren neben ihrer eigentlichen politischen Tätigkeit auch als Aufsichtsrat, mitunter gleich in mehreren Gesellschaften. Eine der Pflichten widerstrebt naturgemäß dem Agieren eines Kommunalpolitikers, der darauf aus ist, sein politisches Wirken einer möglichst großen Anzahl von Menschen mitzuteilen: Die Verschwiegenheitspflicht.

Es ist mitunter ein Akt auf dem Drahtseil für einen Kommunalpolitiker, wenn in Aufsichtsräten brisante Entscheidungen gefällt werden, die in einer öffentlichen Debatte höchst umstritten wären – beispielsweise die Erhöhung von Tarifen für Bahnen und Busse. Der Unterschied zur öffentlichen Debatte im Gemeinde- oder Kreisrat mit medienwirksamer Rede und Gegenrede ist allerdings, dass ein Aufsichtsrat in Deutschland grundsätzlich nicht öffentlich tagt. Mehr noch: Die Aufsichtsräte dürfen über ihr eigenes Abstimmungsverhalten auch nicht im Nachgang sprechen, freilich auch nicht über das Abstimmungsverhalten anderer und schon gar nicht über die Debatte als solche. „Die gesetzlichen Regelungen sind völlig klar, in der Praxis halten sich aber nicht alle daran“, weiß Rudolf X. Ruter, Wirtschaftsprüfer in Stuttgart und Experte für kommunale Unternehmen.

Immer wieder sickern nämlich interne Informationen aus Aufsichtsratssitzungen nach draußen – zuerst an die jeweiligen Fraktionen und dann an die Medien. Diese Internas werden von den Politikern, die in Aufsichtsräten sitzen, nicht selten als Druckmittel gegen die Stadtverwaltung eingesetzt, um unliebsame Entwicklungen und Entscheidungen doch an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Verwaltung stellt in Person eines Bürgermeisters in der Regel den Aufsichtsratsvorsitzenden. Eine Weitergabe solcher Informationen aber wäre strafbar. Wer als Aufsichtsrat ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis unbefugt weitergibt, kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe belangt werden. Wiegt der Fall besonders schwer, können es auch bis zu zwei Jahre Haft sein.

Rudolf X. Ruter kennt aber keinen Fall in Deutschland, bei dem ein Kommunalpolitiker wegen Verletzung der Verschwiegenheitspflicht als Aufsichtsrat verurteilt worden ist. Formal gesehen ist das einzelne Aufsichtsratsmitglied auch nicht an Vorgaben der Fraktion im Gemeinderat gebunden, von der der Aufsichtsrat entsandt wird. „Das Mitglied in der GmbH entscheidet selbst“, so Experte Ruter. Ernsthafte Bestrebungen, den Konflikt dahingehend aufzulösen, Aufsichtsratssitzungen generell öffentlich zu machen, gibt es von keiner Seite. „Dann würden die wesentlichen Sachen nicht mehr dort entschieden“, glaubt Fachmann Ruter. Die Öffentlichkeit herzustellen im Aufsichtsrat eines kommunalen Unternehmens wäre formal aber kein Problem: In der Gesellschaft wäre ein Ausschluss des Aktienrechts vorzunehmen, ein entsprechender Passus über die Öffentlichkeit von Aufsichtsräten müsste in die jeweilige Gemeindeordnung aufgenommen werden. Auch dafür gibt es in Deutschland aber kein Beispiel.

Wer zu sehr als Politiker agieren will im Aufsichtsrat, der wird es also schwer haben – vor allem beim Thema Verschwiegenheitspflicht. Rudolf X. Ruter sieht auch bei der Qualifikation von Aufsichtsräten Defizite. „Oft reicht das nicht aus für diese Management-Aufgabe“, sagt er. Deshalb plädiert er für mehr externe, unabhängige Experten in Aufsichtsräten, wie dies in Hamburg der Fall sei. Der Beteiligungsbericht in der Hansestadt weist tatsächlich aus, dass Abgeordnete des Senats in keinen Aufsichtsräten vertreten sind. Allerdings kommt es dadurch zur Konstellation, dass der Manager eines Hamburger Mineralölkonzerns im Aufsichtsrat der Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten gGmbH vertreten ist.

Aufsichtsrat: Potenzial für Konflikte

Im Aufsichtsrat eines kommunalen Unternehmens gibt es jede Menge Interessenlagen, die Konfliktpotenzial bergen. Sie hängen unter anderem mit den unterschiedlichen Funktionen zusammen, die die Beteiligten in das Gremium mitbringen oder Interessen, die von außen an den Aufsichtsrat herangetragen werden. Neben den Vertretern der kommunalen Parlamente hat der Aufsichtsratsvorsitzende eine Sonderstellung, weil er die Interessen der Gebietskörperschaft in besonderem Maße vertreten muss. Die Geschäftsführung, die vom Aufsichtsrat kontrolliert wird muss darauf achten, dass die Gesellschaft als solches gute Ergebnisse liefert. Beeinflusst wird ein Aufsichtsrat aber auch von externen Beteiligten wie den Rechnungshöfen oder von Wirtschaftsprüfern.

Gesetze treffen Aussagen in punkto Verschwiegenheit

Maßgeblich bei der Verschwiegenheitspflicht von politischen Vertretern in Aufsichtsräten sind wie für alle anderen Aufsichtsräte das „Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung“ (GmbHG) und das Aktiengesetz (AktG). Im GmbHG verpflichtet Artikel 52 die Mitglieder eines Aufsichtsrats zur Verschwiegenheit, im AktG sind es die Artikel 93 und 116. Keine Verschwiegenheitspflicht existiert allerdings gegenüber den Geschäftsführern und den Gesellschaftern. Gehört ein Unternehmen also zu 100 Prozent einer Stadt, einem Landkreis oder einer anderen Gebietskörperschaft, gilt die Pflicht auch nicht gegenüber dem Bürgermeister, der in diesem Fall die Gemeinde vertritt.

Politische Vertreter müssen allerdings die Verschwiegenheitspflicht als Aufsichtsrat gegenüber dem Gemeinderat oder vergleichbaren Organen beachten. Auch die Berichtspflicht, die im Aktiengesetz geregelt ist, ändert daran nichts. Aufsichtsräte können nicht per Vertrag zu einer Berichtspflicht gezwungen werden. Eine Reform des Aktiengesetzes sieht allerdings vor, dass eine Berichtspflicht und damit das Durchbrechen der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern nunmehr auch vertraglich vereinbart werden kann.

Bedeutsam ist diese geplante Änderung vor allem in den Bundesländern, die bislang keine gesetzlichen Berichtspflichten in ihren Landesgesetzen kennen. Das ist unter anderem auch in Baden-Württemberg der Fall. Wann diese Reform in Kraft treten könnte, ist unklar. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung stammt aus dem Jahr 2011, die erste Lesung des Gesetzes im Deutschen Bundestag fand Ende November 2012 statt. Hier wurde eine Überweisung in die zuständigen Ausschüsse beschlossen.

Die Gemeindeordnung Baden-Württemberg trifft zur Verschwiegenheit von Aufsichtsräten keine Aussagen. Sie legt lediglich fest, dass Kommunen unter bestimmten Voraussetzungen privatrechtlich organisierte Unternehmen gründen dürfen und dass der Bürgermeister die Gemeinde in dem jeweiligen Aufsichtsrat vertritt. Zudem wird in Paragraf 104 die Möglichkeit eröffnet, dass die Gemeinde weitere Vertreter in einen Aufsichtsrat entsenden kann.

Weitere Pflichten von Aufsichtsräten

Neben der Verschwiegenheitspflicht besitzt ein Aufsichtsrat weitere, gesetzlich festgelegte Pflichten. Er muss darauf achten, dass die Geschäftsführung den Zwecken des Unternehmens entsprechend ausgeübt wird. Eine nicht unwesentliche Rolle dabei spielt die Fachkunde der jeweiligen Geschäftsführer. Ein weiterer Punkt ist die „Ordnungsmäßigkeitskontrolle“, beispielsweise wenn es um die Verwaltung des Vermögens des Unternehmens durch die Geschäftsführung geht.

Heikel ist das vor allem, wenn bei einem Unternehmen auch Finanzgeschäfte der Art getätigt werden, die im Zuge der Finanz- und Bankenkrise zu millionenschweren Verlusten bei einigen kommunalen Unternehmen geführt haben. Experten raten dem Aufsichtsrat hier zu einem frühzeitigen Einschreiten, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, zweifelhafte Geschäfte nicht rechtzeitig unterbunden zu haben. Im Fokus sind auch die Wirtschaftlichkeitskontrolle und die Rechtmäßigkeitskontrolle. Bei ersterer geht es ebenfalls vorwiegend um die korrekte Verwendung von zumeist Steuergeld, nicht zuletzt beispielsweise um die Höhe der Geschäftsführer-Gehälter. Und bei der Rechtmäßigkeitskontrolle gilt es zu kontrollieren, ob alle Aktivitäten nach Recht und Gesetz ablaufen.

Erstveröffentlichung: Staatsanzeiger Baden-Württemberg