Neue Wählervereinigungen brauchen einen langen Atem

Von | 2. Juni 2016

Der vielzitierte Spruch „Die Demokratie lebt vom Wechsel“ bewahrheitet sich auch in der Kommunalpolitik. Vor allem dann, wenn neue Wählervereinigungen Protestpotenzial aufgreifen und den „etablierten“ Kommunalpolitikern ihre Sitze streitig machen wollen.

Wer über Kommunalpolitik spricht, der landet derzeit ziemlich schnell beim Begriff Bürgerbeteiligung. Es zu propagieren, dann aber als Verwaltung und Gemeinde- oder Kreisrat die Meinung der Bürgerinnen und Bürger auch tatsächlich ernsthaft einzubeziehen, sind ganz unterschiedliche Dinge. Wenn das über Jahre hinweg nicht klappt und sich in der Bürgerschaft ein Gefühl breit macht, man werde nicht mehr gehört und ernst genommen, ist das möglicherweise ein Nährboden für neue Wählervereinigungen, die dann mit viel Euphorie ankündigen, man wolle jetzt alles besser machen und den etablierten Parteien zeigen, wie gute Kommunalpolitik aussieht. Regelmäßig vor Wahlen formieren sich dann neue Bündnisse.

Beispielsweise war das in Heilbronn der Fall. Dort hat sich Anfang Mai 2013 die „Bunte Liste“ gegründet. Ursache in diesem Fall – aber auch andernorts – ist eine generelle Unzufriedenheit mit der Arbeit der Verwaltung und der Gemeinderatsmitglieder. In Heilbronn gebe es „starke Bürgerbewegungen für Energiewende und Klimaschutz, für Bürgerbeteiligung und für soziale Gerechtigkeit, gegen zunehmende Armut“, heißt es in dem als Wahlaufruf titulierten Eintrag in einem Blog, den die „Bunte Liste“ erstellt hat. „Mit den großen Parteien findet der Dialog aber nicht statt“, lautet der Vorwurf von attac-Aktivist Christoph Köble, der den Gründungsaufruf mit unterzeichnet hat. „Wir wollen eine gesamtheitliche Betrachtung von Themen in den Gemeinderat einbringen und zwar durch die Vielfalt unseres Bündnisses“, fügt er hinzu. Noch aber befinde sich die neue Vereinigung in einem Findungsprozess, betont Köble.

Friedemann Kalmbach hat einen solchen Findungsprozess auch schon einmal mitgemacht. Voller Euphorie, aber auch etwas naiv sei man damals an die Sache herangegangen, erzählt der Leiter einer christlichen Hilfsorganisation, der seit der Kommunalwahl 2009 als Stadtrat für die Liste „Gemeinsam für Karlsruhe“ (GfK) im Gemeinderat der Fächerstadt sitzt. Formiert hatte sich die Liste etwa anderthalb Jahre vor der Wahl – fast schon zu spät, um bei der darauffolgenden Wahl noch „etwas zu reißen“. Entstehen konnte die Bewegung im Zuge vieler Diskussionen um mehrere umstrittene Projekte in der Fächerstadt mit viel Protestpotenzial, die die Bürgerschaft zu spalten drohten. Kalmbach betont allerdings, dass es der GfK vor allem um die Frage einer guten politischen Kultur gegangen sei. Die hatten die politischen Neulinge zunehmend vermisst.

Auch deshalb, weil der damalige Gemeinderat so manch formulierte Kritik an den Projekten am Ende vom Tisch gewischt hatte. Die Folge: Nicht nur GfK war erfolgreich, auch die in Karlsruhe über viele Jahre nicht im Gemeinderat vertretenen Freien Wähler konnten den so genannten etablierten Parteien gleich zwei Sitze abluchsen. Die Tatsache, dass Kalmbach und sein Team überhaupt antraten, führte bei eben jenen Etablierten zu ganz unterschiedlichen Reaktionen. „Die CDU wollte uns auf deren Liste holen, um zu verhindern, dass wir antreten und die SPD hat uns gar nicht ernst genommen“, berichtet er heute nüchtern über Vorgänge von vor fünf Jahren. Heute hat der Stadtrat zu allen Kolleginnen und Kollegen trotz allem ein sehr gutes Verhältnis.

Wählerinitiativen, die sich in anderen Städten neu formieren, müssen aus Sicht von Kalmbach vor allem darauf achten, den eigenen „Dunstkreis“ zu mobilisieren, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Nur dann bestehen Chancen, einen oder mehrere Kandidaten in den Gemeinderat zu bringen. Er rät auch davon ab, ein Wahlprogramm auf das Fundament des bloßen Protests zu bauen und gegen andere lediglich zu „schießen“. In Heilbronn hat es die Bunte Liste im Übrigen geschafft und stellt nun einen Gemeinderat.

Hintergrund:
Bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg können zum einen Parteien antreten, zum anderen aber auch mitgliedschaftlich organisierte Wählervereinigungen, die sich als Verein organisiert haben. Ein Eintrag ins Vereinsregister ist zwar nicht notwendig, über feste Mitglieder innerhalb einer verfassten Struktur mit Mitgliederversammlung und Vorstand muss diese Form der Wählervereinigung allerdings schon verfügen. Demgegenüber existieren auch nichtmitgliedschaftlich organisierte Wählervereinigungen – ohne jede Rechtsform und Organisation – die in Form von „Versammlungen wahlberechtigter Anhänger der Vereinigung in Erscheinung treten. Und schließlich kann es gemeinsame Wahlvorschläge mehrerer Gruppierungen geben, die sich für eine Liste zusammenfinden.