Unechte Teilortswahl: Manchmal auch eine emotionale Sache

Von | 8. Januar 2015

Nicht alle Gemeinderäte korrelieren in ihrem Umfang mit der Größe der jeweiligen Kommune. Ausnahmen lässt die Gemeindeordnung Baden-Württemberg nicht nur dann zu, wenn es durch unechte Teilortswahl in einer Gemeinde zu Ausgleichssitzen kommt.

Die Stadt Ravensburg hätte für die Kommunalwahl 2014 den Gemeinderat vergrößern können, weil die Einwohnerzahl der Stadt in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Das Gremium hätte dann nicht mehr 32, sondern 40 Personen umfasst. Weil in Ravensburg und den drei Ortsteilen aber eine unechte Teilortswahl stattfindet, wären möglicherweise bis zu acht Ausgleichssitze hinzugekommen. Das hätte zur Folge gehabt, dass die Größe des Gemeinderats möglicherweise einer Stadt entsprochen hätte, die drei Mal so groß wie Ravensburg ist.

Die Gemeinderäte hatten stattdessen beschlossen, alles so zu belassen wie es ist – trotz der gestiegenen Einwohnerzahl. Die Gemeindeordnung Baden-Württemberg, in der die Größe eines Gemeinderats festgelegt ist, lässt die Möglichkeit zu, auch die nächstniedrigere Größenkategorie zu wählen. 173 der 1.101 Gemeinden in Baden-Württemberg haben diese Variante gewählt. In drei Viertel der Gemeinden existiert keine unechte Teilortswahl. 122 Gemeinden mit unechter Teilortswahl rutschen dagegen in die nächsthöhere Kategorie, zählt man die Ausgleichssitze zur regulären Sitzzahl hinzu. Auch das regelt die Gemeindeordnung.

Sie gibt für Gemeinden mit nicht mehr als 1000 Einwohnern einen achtköpfigen Gemeinderat vor. Je nach ansteigender Größe der Kommune wächst auch der Gemeinderat – bis hin zu einer Größe von 60 bei Städten mit mehr als 400.000 Einwohnern. Die Abstufungen liegen bei 10, 12, 14, 18, 22, 26, 32, 40 und 48 Gemeinderäten. Die Gemeindeordnung lässt aber auch Ausnahmen zu. Über eine entsprechende Hauptsatzung kann eine Gemeinde nämlich beschließen, dass für die Zahl der Gemeinderäte die nächstniedrigere Gemeindegrößengruppe maßgebend ist. Für Kommunen mit unechter Teilortswahl kann die nächstniedrigere oder nächsthöhere Gruppe, aber auch eine dazwischenliegende Zahl wie beispielsweise 24 gewählt werden.

In Ravensburg wollten die Gemeinderäte mit ihrer Entscheidung ein bewährtes System nicht ohne Not umbauen. Die Aufgabenverteilung in den Ausschüssen sei eingespielt. Auch wolle der Gemeinderat mit der Beibehaltung der Größe seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Und schließlich gebe es teilweise Probleme der Parteien die Kommunalwahllisten vollzubekommen – ein Aspekt, der in vielen Gemeinden eine Rolle spielt.

Ein Blick in die Geschichte: Insgesamt existierte in Baden-Württemberg bei der Kommunalwahl 2009 in 483 Gemeinden eine unechte Teilortswahl statt, die dann zu den vergrößerten Gemeinderäten führt. Sie sichert den Ortsteilen eine garantierte Repräsentanz im Stadtparlament zu. Beispielsweise stehen der Kernstadt Ravensburg 22 Sitze zu, den Ortsteilen Eschach sechs sowie Taldorf drei Sitze. Schmalegg erhält einen Sitz. Auf diese regulären Sitze kommen aktuell weitere sechs Ausgleichssitze.

Besteht ein besonderer Grund, könnte ein Gemeinderat aufgrund eines Erlasses des Baden-Württembergischen Innenministeriums beschließen, einen Ortsteil über das ihm zustehende Maß an Sitzen auszustatten. Zulässig ist eine Überrepräsentation von bis zu 20 Prozent, im Gegenzug auch eine Unterrepräsentation in der gleichen Größenordnung. Die unechte Teilortswahl wird allerdings in immer mehr Kommunen abgeschafft – teilweise nach vielen Jahren Anlaufzeit, weiß Norbert Brugger vom Städtetag Baden-Württemberg.

Gründe dafür sind die weitgehend abgeschlossenen Integrationen von Ortsteilen nach der Gemeinde- und Kreisreform mit vielen Eingemeindungen Anfang der 1970er Jahre. Eingemeindungsverträge hatten zudem die unechte Teilortswahl lediglich für einen Übergangszeitraum zugesichert. Seit 1989 können Gemeinden die Variante abschaffen. Vereinfachen wollte man vielerorts auch das sowieso schon komplizierte Wahlverfahren bei einer Kommunalwahl.

„Der Wähler entscheidet nach Qualität“, glaubt Experte Norbert Brugger, der seit mehr als 15 Jahren in Gemeinden Vorträge hält und vor Ort erläutert, welche Folgen die Abschaffung der unechten Teilortswahl hat. „In Tübingen hat man fünf Anläufe gebraucht, um die unechte Teilortswahl abzuschaffen“, berichtet Brugger. Er kennt die Emotionen, die in den Kommunen unter Umständen hochkochen, wenn das Ende der unechten Teilortswahl gekommen ist.

Verbunden sind damit auch immer liebgewonnene und eingespielte Strukturen, die es dann plötzlich nicht mehr geben soll. Das sei auch eine Generationenfrage, nimmt er Bezug auf die Reformen der 1970er Jahre. Heute jedoch würden die Diskussionen darum zunehmend sachlicher geführt. Eine Empfehlung zur Abschaffung oder Beibehaltung der unechten Teilortswahl gibt es vom Städtetag Baden-Württemberg grundsätzlich nicht gegenüber den Kommunen. Aber: „Man muss die Stadt ja als Ganzes begreifen“, sagt Brugger.

Erstveröffentlichung im Staatsanzeiger Baden-Württemberg